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Wirtschaftspolitischer Beitrag

EU-Asylpolitik: Raus aus der Quoten-Sackgasse

Autoren

  • Matthias Lücke

Erscheinungsdatum

Schlagworte

Europa

Asyl

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EU-Ratspräsident Donald Tusk hat im jüngsten Gipfeltreffen das Offensichtliche ausgesprochen: Eine verpflichtende Verteilung von Asylsuchenden auf all

Dass die Umverteilung der Asylsuchenden per Quote die akuten Probleme nicht löst, zeigt sich an der Situation in Griechenland und Italien: Die katastrophalen Lebensbedingungen von Asylsuchenden auf den ägäischen Inseln könnte die griechische Regierung kurzfristig verbessern. Hier mangelt es nicht an internationalen Hilfsgeldern, sondern offensichtlich eher am Willen. Zudem muss die EU dringend mit der türkischen Regierung klären, wie sie die Menschenrechte von rückkehrenden Flüchtlingen nachvollziehbar schützt, um mittelfristig rechtssicher Asylsuchende in die Türkei zurückzuführen.

Auch die Probleme Italiens sind durch Quoten nicht zu lösen: Die meisten Migranten, die aus Libyen ankommen, haben in Europa kaum Aussicht auf Anerkennung als Flüchtlinge. Schon deshalb wurden in der Vergangenheit viel weniger Asylsuchende aus Italien weitergeleitet als geplant. Italien müsste – mit Unterstützung durch die EU und einzelne Mitgliedstaaten – seine Asylverfahren drastisch beschleunigen und abgelehnte Asylsuchende rascher in ihre Herkunftsländer zurückführen. Dann würde die irreguläre Migration nach Italien unattraktiv. Gleichzeitig könnte die EU bei ihrer Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache und anderen libyschen Stellen mehr Wert darauf legen, dass diese die Menschenrechte der Migranten gewährleisten und die Migranten sicher in ihre Herkunftsländer zurückkehren können.

Die verpflichtende Umverteilung von Asylsuchenden aus Italien und Griechenland hat auch deshalb nicht funktioniert, weil die Flüchtlinge nicht in ärmeren EU-Mitgliedsländern geblieben sind. Portugal hat zum Beispiel eine aktive Willkommenskultur entwickelt und im Rahmen seiner begrenzten finanziellen Ressourcen Neuankömmlinge 18 Monate lang großzügig unterstützt. Trotzdem sind nur wenige „umverteilte“ Flüchtlinge in Portugal geblieben. Offenbar fehlten hilfreiche Netzwerke von Landsleuten, die Verdienstmöglichkeiten waren zu bescheiden und die Unterstützung für Flüchtlinge war anderswo in der EU großzügiger. Eine verpflichtende Umverteilung in noch ärmere EU-Mitgliedstaaten in Osteuropa würde noch schlechter funktionieren als in Portugal.

Statt an Quoten festzuhalten, sollte die EU auf das Konzept der flexiblen Solidarität setzen: Es bedeutet, dass alle EU-Mitgliedstaaten die Flüchtlingssituation als gemeinsame Herausforderung akzeptieren, die sie in einer koordinierten Anstrengung bewältigen wollen. Aber der jeweilige Beitrag zur Lösung der Situation kann je nach Land unterschiedlich ausfallen. Wie EU-Mitgliedstaaten jeweils am besten eine gemeinsame EU-Asylpolitik unterstützen können, ist so unterschiedlich wie die Staaten selbst.

Länder mit starker Arbeitsnachfrage können leichter Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren als Länder mit hoher Arbeitslosigkeit. Länder mit wenigen Asylanträgen können eher Fachkräfte abstellen, um die Erstankunftsländer bei Grenzsicherung, Aufnahme von Asylsuchenden und Asylverfahren zu unterstützen. Mitgliedstaaten mit viel Erfahrung bei der sozialen Integration von Immigranten können leichter schutzbedürftige Flüchtlinge aus überlasteten Drittstaaten aufnehmen – nicht zuletzt aus der Türkei, wo die Übereinkunft mit der EU dies ausdrücklich vorsieht.

Alle Mitgliedstaaten können schließlich entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit höhere EU-Haushaltsmittel aufbringen für die Partnerschaftsabkommen mit Herkunftsländern, die Sicherung der Außengrenzen, das Migrationsmanagement sowie die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen. Mehr Unterstützung aus dem EU-Haushalt kann diejenigen Mitgliedstaaten wesentlich entlasten, die wegen ihrer geographischen Lage oder aus humanitärer Verpflichtung besonders viele Aufgaben übernehmen.

Flexible Solidarität der EU-Mitgliedstaaten untereinander erfordert zunächst eine kooperative Gesprächskultur und ein gemeinsames Monitoring der nationalen Anstrengungen. Dabei muss es natürlich um Solidarität gehen – und nicht nur um Flexibilität. Aber bereits heute tragen die EU-Mitgliedstaaten freiwillig in vielfältiger Weise dazu bei, Flüchtlingssituationen zu bewältigen. So vergibt Polen mehrere hunderttausend Arbeitsvisa an Ukrainer; das stabilisiert dort die wirtschaftliche Lage und gibt Menschen eine Perspektive, die sonst vielleicht nach Westeuropa fliehen würden. Viele EU-Mitgliedstaaten finanzieren UNHCR und schützen so weltweit Flüchtlinge. Flexible Solidarität ist eine gute Grundlage für die künftige EU-Asylpolitik mit ihren vielfältigen Aufgaben und Anforderungen, die die Mitgliedstaaten am besten entsprechend ihren Ressourcen und Kompetenzen wahrnehmen.

(Leicht veränderte Fassung eines Gastkommentars, der am 28. Dezember 2017 unter dem Titel „Flexible Solidarität statt Quote“ auf Zeit Online erschienen ist.)

In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.