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Konjunkturbericht

Wer viel trinkt, braucht billigen Schnaps

Autoren

  • Henning Klodt

Erscheinungsdatum

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Deutschland

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Steuerpolitik

Seit Sommer 2011 hat die Bundesregierung für besonders stromintensive Unternehmen sukzessive immer weitreichendere Entlastungen und teilweise sogar vollständige Befreiungen von den Netzentgelten durchgesetzt. Die daraus resultierenden Einnahmeausfälle von rund 880 Mio. Euro pro Jahr werden auf alle anderen Stromkunden umgelegt.

Neulich musste ich im Supermarkt meines Vertrauens feststellen, dass mein Lieblingsschnaps deutlich teurer geworden war. „Woran liegt denn das?“ fragte ich die Verkäuferin.  „An der Branntweinsteuer“, antwortete sie. „Mittlerweile haben so viele Alkoholiker der Stadt eine Befreiung von dieser Steuer beantragt, dass die anderen Schnapskäufer jetzt viel höhere Steuern als früher zahlen müssen.“ Ich staunte, zahlte und ging.

Die Geschichte halten Sie für an den Haaren herbeigezogen? So etwas könne es doch gar nicht geben? Gibt es aber doch. Zwar nicht bei der Branntweinsteuer, aber bei den Entgelten für die Nutzung der Stromnetze. Seit Sommer 2011 hat die Bundesregierung für besonders stromintensive Unternehmen sukzessive immer weitreichendere Entlastungen und teilweise sogar vollständige Befreiungen von den Netzentgelten durchgesetzt. Die daraus resultierenden Einnahmeausfälle von rund 880 Mio. Euro pro Jahr werden auf alle anderen Stromkunden umgelegt.

Zumindest den vollständigen Befreiungen ist jetzt ein Riegel vorgeschoben, da diese vom Oberlandesgericht Düsseldorf als nicht nachvollziehbare Begünstigung einzelner Unternehmen untersagt worden sind. Nach Verkündung des Urteils erklärte die Bundesregierung sogleich, sie werde dadurch keineswegs aus dem Konzept gebracht, denn man arbeite ohnehin bereits an einer Neuregelung, die ab Sommer 2013 nur noch Ermäßigungen von den Netzentgelten, aber keine vollständigen Befreiungen mehr vorsähe. Als ließe sich das Problem dadurch lösen, Alkoholabhängige nicht vollständig, sondern nur teilweise von der Branntweinsteuer zu befreien.

Zwar dienen die Netzentgelte nicht primär dem Ziel, den Energieverbrauch über entsprechende Preissignale zu reduzieren, aber sie sollten auch keine Signale in die entgegengesetzte Richtung aussenden. Eine Wirtschaftspolitik, die sich der Energiewende verschrieben hat, sollte ihre eigene Politik nicht dadurch konterkarieren, dass sie die im Marktprozess herausgebildeten Netzentgelte gerade für jene Unternehmen künstlich absenkt, bei denen sie die vermutlich größten Anreizwirkungen zum Stromsparen entfalten würden. „Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen“, hatte Ernst-Ulrich von Weizsäcker einst formuliert. Dieser Satz gilt auch heute noch und sollte bei der geplanten Novellierung der Netzentgeltverordnung angemessen berücksichtigt werden.

In der Grundstruktur und auch in ihren finanziellen Dimensionen ähnliche Anreizverzerrungen existieren bei der Energiesteuer. Sie wird auf alle Kraft- und Heizstoffe erhoben, d.h. auf Benzin und Dieselkraftstoff, auf Flüssig- und Erdgas sowie auf Heizöl und Kohle. Für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes und der Land- und Forstwirtschaft gilt ein um 70 Prozent ermäßigter Steuersatz. Bestimmte energieintensive Prozesse und Verfahren im Produzierenden Gewerbe sind vollständig von der Steuer befreit. Für die übrigen Unternehmen kommt eine Steuerreduzierung durch den so genannten Spitzenausgleich in Frage: Danach erhalten Unternehmen 95 Prozent jener Steuerzahlungen erstattet, die über die Entlastungen bei den Rentenversicherungsbeiträgen (die mit den Ökosteuern gegenfinanziert werden) hinausgehen. All diese Vergünstigungen summieren sich zu rund 750 Mio. Euro pro Jahr.

Analoges gilt für die Stromsteuer. Hier gilt zunächst einmal ein ermäßigter um 60 Prozent ermäßigter Steuersatz für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes und der Land- und Forstwirtschaft. Darüber hinaus gibt es auch bei dieser Steuer den so genannten Spitzenausgleich, bei dem ebenfalls 95 Prozent derjenigen Steuerschulden erlassen werden, die über die Entlastungen bei den Lohnnebenkosten des betreffenden Unternehmens hinausgehen. Die dadurch bedingten Einnahmeausfälle betragen etwa 2.900 Mio. Euro pro Jahr.

Begründet werden diese Subventionen damit, dass ansonsten die energieintensiven Unternehmen auf den Weltmärkten nicht mehr konkurrenzfähig wären und die betreffenden Produktionen möglicherweise in Länder abwandern würden, wo Klimaschutz weniger wichtig genommen wird. Der CO2-Ausstoß würde damit nicht verringert, sondern nur verlagert. Dieses Argument des „Carbon Leakage“ ist nicht rundweg von der Hand zu weisen, aber es würde, wenn man es wirklich konsequent gelten lassen würde, letztlich zu einer vollständigen Streichung von Energie- und Stromsteuer führen müssen. Denn es dürfte kaum ein Unternehmen in Deutschland geben, das nicht in der einen oder anderen Weise in den internationalen Wettbewerb eingebunden ist.

Die vom deutschen Gesetzgeber gefundene Lösung, nur die besonders energieintensiven Unternehmen zu befreien bzw. zu entlasten (übrigens ohne Rücksicht darauf, ob diese Unternehmen in starkem internationalen Wettbewerb stehen), öffnet den Lobby-Aktivitäten Tür und Tor. Jede Branche wird für sich in Anspruch nehmen, genau diese Bedingungen weitaus besser als alle anderen Branchen zu erfüllen. Selbst der Zementindustrie ist es gelungen, Steuerbefreiungen für sich durchzusetzen. Dabei ist die Zementherstellung zwar besonders energieintensiv, aufgrund der prohibitiv hohen Transportkosten ihres Produkts stehen die Hersteller jedoch praktisch gar nicht unter internationaler Konkurrenz. Im Ergebnis werden jene Branchen, die eine Steuerentlastung durchsetzen können, unfair begünstigt und jene, denen das nicht gelingt, unfair benachteiligt.

Die Forderungen energieintensiver Produzenten nach gleichen Wettbewerbsbedingungen gegenüber der ausländischen Konkurrenz (level playing field) sind aus ihrer Sicht nachvollziehbar. Die Politik sollte dem aber nicht nachgeben. Wenn die Netzentgelte für manche Unternehmen zu teuer sind, dann sind sie für alle zu teuer. Wenn sie aber richtig bemessen sind, dann sind sie für alle richtig bemessen. Ein level playing field kann es ohnehin nicht geben: Die Löhne sind nicht überall gleich, die Unternehmenssteuersätze variieren zwischen den Standorten, ebenso die Qualität der Infrastruktur, und auch die klimatischen Bedingungen sind verschieden. Weshalb sollte es angesichts all dieser, für die internationale Konkurrenzfähigkeit durchaus relevanten Unterschiede unzumutbar sein, auch bei den Netzentgelten internationale Unterschiede zuzulassen?

Eine vollständige Abschaffung aller Sondervergünstigungen bei den Netzentgelten würde nicht nur die perversen Anreize beim Stromverbrauch unterschiedlich energieintensiver inländischer Unternehmen korrigieren, sondern auch zur Glaubwürdigkeit der deutschen Klimapolitik gegenüber den Schwellenländern beitragen. Wie will man den Regierungen in China oder Indien vermitteln, dass auch sie entschlossen zum Klimaschutz beitragen sollen, wenn in Deutschland gerade jene Unternehmen, die in besonderem Maße zum Treibhauseffekt beitragen, dafür auch noch belohnt werden? Das wird den Schwellenländern ähnlich einleuchtend erscheinen wie die Schnapsverbilligung für Alkoholiker.

(Erschienen am 19. März 2013 im Blog „Wirtschaftliche Freiheit“ wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/)