Wirtschaftspolitischer Beitrag
Vergeltung schützt nicht die Handelsordnung vor Trump
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Europa
Internationaler Handel
USA
Die EU nimmt den von Donald Trump hingeworfenen Fehdehandschuh der Strafzölle auf Stahl und Aluminium auf und übt Vergeltung mit Gegenzöllen auf ausgewählte Produkte mit ähnlichem Handelsvolumen. Die Produkte kommen aus den US-Bundesstaaten, in denen vor allem Wähler von Donald Trump beheimatet sind. Das deutet auf den politisch erwünschten Zweck hin: Die Wähler sollen zu spüren bekommen, dass Trumps Politik ihnen schadet. Befürworter dieser Maßnahmen behaupten nicht, dass sie ökonomisch sinnvoll sind. Im Gegenteil, wie auf die Gegner wirken sie auch auf die Befürworter lächerlich.
Noch sind sie sich nicht sicher, dass die EU in einer Streitschlichtung bei der Welthandelsorganisation WTO obsiegen wird, denn Art. 21 des für Güter zuständigen Abkommens GATT, einem der drei großen Abkommen unter dem WTO-Dach, lässt sicherheitspolitische Begründungen für Schutzmaßnahmen grundsätzlich zu. Es ist sehr zweifelhaft, ob eine Schlichtungsinstanz der WTO wird beurteilen wollen, was der Sicherheit eines Mitgliedslandes dienlich ist und was nicht. Sicher aber ist, dass die USA der WTO das Recht zu einer Entscheidung über amerikanische Sicherheitsinteressen absprechen werden.
Verteidigt wird die Vergeltung damit, dass sie der Verteidigung der multilateralen, regelbasierten Handelsordnung dienen soll. Das ist aus drei Gründen nicht überzeugend.
Erstens basiert die Ordnung auf dem Prinzip der Nichtdiskriminierung, also der Gleichbehandlung aller Mitglieder, am klarsten präsentiert durch die Meistbegünstigung. Zugeständnisse sollen grundsätzlich immer allen Mitgliedern zugutekommen, nicht nur einem Mitglied. Bilaterale Maßnahmen zwischen einzelnen Mitgliedern verletzen das Prinzip. Die EU würde dem Ziel der Regelbindung in der Handelsordnung am meisten helfen, wenn sie dieses Prinzip auch im Streit mit den USA beachten würde. Dies schließt nicht nur aus, dass sich die EU unter ihren Mitgliedern auseinanderdividieren lässt, sondern auch, dass die EU alleine für sich gegenüber Donald Trump für Ausnahmeregeln plädiert.
Dies hat sie leider getan, als Präsident Macron und Kanzlerin Merkel in Washington bei Donald Trump vorsprachen und damit dem Prinzip der multilateralen Ordnung einen Bärendienst erwiesen. Das „jeder für sich alleine“-Verhalten ist der schlimmste Spaltpilz für die multilaterale Ordnung und auch nicht dadurch zu rechtfertigen, dass man das Verhalten von Trump nicht so einfach hinnehmen will. Nicht zu handeln wäre dann besser gewesen als falsch zu handeln.
Zweitens stützt man die Handelsordnung nicht durch negative Maßnahmen, also Zollerhöhungen, sondern durch positive Maßnahmen der Liberalisierung. Das war und ist der Kern der Ordnung mit ihren multilateralen Liberalisierungsrunden. Dafür sieht die WTO Verhandlungen nach dem merkantilistisch geprägten Reziprozitätsprinzip vor: Kein Zugeständnis bei der politisch immer kritisch gesehenen Importliberalisierung ohne Gegenzugeständnis bei den politisch immer erwünschten Erleichterungen für die eigenen Exporte, alles festzuhalten in Verträgen. Damit allerdings bei Donald Trump auf Gegenliebe zu hoffen, ist naiv.
Er will keine Verhandlungen oder langwierige Verfahrenswege zu Vereinbarungen, vor allem nicht gegenüber Partnern auf ökonomischer Augenhöhe wie der EU. Er will rasche Ergebnisse für die amerikanische Handelsbilanz, entweder durch Exportselbstbeschränkungen der EU oder mehr Käufe amerikanischer Waren durch die EU-Akteure. In einer Marktwirtschaft lässt sich das nicht außerhalb staatlicher Käufe (beispielsweise von Rüstungsgütern) verordnen, aber es gibt einen multilateralen Weg für die EU und ein starkes positives Signal für die multilaterale Ordnung: die einseitige Zollsenkung gegen alle Handelspartner unter das Niveau der seit der Uruguay-Runde vertraglich gebundenen Zölle.
Wenn auch den Befürwortern von Vergeltung klar ist, dass ein Importzoll wie eine Steuer auf Exporte wirkt und die ungleichen und damit verzerrenden Anreize zwischen der Produktion für den Binnen-und den Auslandsmarkt durch Zollsenkung eingeebnet werden, warum wird dann diese Möglichkeit von der EU verworfen, zumal sie von vielen WTO-Ländern bereits zu deren ökonomischen Nutzen angewandt wurde? Brasilien beispielsweise hat einen gebundenen Durchschnittszoll auf Industriegüter von knapp 32 Prozent. Seit der Uruguay-Runde senkte Brasilien seine tatsächlich erhobenen Zölle bis auf 14 Prozent. Die EU hingegen blieb mit ihren Zöllen auf dem Vertragsniveau. Die Senkung der Zölle würde der Wirtschaft in der EU nützen.
Befürworter und Gegner von Vergeltung sind sich ja einig, dass die Zölle aus der Zeit von vor einem Vierteljahrhundert aus der Welt gefallen sind. Warum muss etwas, was für die eigene Wirtschaft von Nutzen ist, davon abhängig gemacht werden, dass die andere Seite es auch tut? Nichts könnte die EU gegenüber ihren Handelspartnern glaubwürdiger für eine Führungsrolle in der Verteidigung der multilateralen Handelsordnung qualifizieren als die einseitige Zollsenkung gegenüber allen Partnern. Damit könnte sie Allianzen mit gleichgesinnten Ländern schmieden, ohne wie das Kaninchen vor der Schlange immer auf die USA zu starren. Soll die EU das Feld hier China überlassen, das zum 1.7.2018 seine Zölle auf Autoimporte aus allen Partnerländern einseitig senkt?
Drittens können einseitige Liberalisierungsmaßnahmen durchaus die Vorstufe zu einer vertraglichen Einigung sein, an deren Ende vielleicht auch die USA die Vorteile multilateraler Vereinbarungen wie die Rechtssicherheit und die globale Reichweite für sich wiederentdecken würden. Immerhin waren sie es, die die Regeln für den Güterhandel in der Nachkriegszeit schufen, verteidigten und für sich nutzten. Offene Zukunftsthemen von großer Bedeutung für die USA wie den digitalen Handel oder den Handel mit Dienstleistungen, die von Tochtergesellschaften im Ausland erbracht werden, gibt es zuhauf.
Welche Vorteile multilaterale Regeln einem Land bieten, nachdem es einseitig liberalisiert hat, lässt sich eindrucksvoll am Beispiel Chinas zeigen. Fünfzehn Jahre lang, von 1986–2001, war das Land gehalten, allen Forderungen der Partner, seinen Markt einseitig zu öffnen, nachzukommen, bevor es in die WTO aufgenommen wurde. Dieser Weg war sowohl zum Nutzen Chinas als auch der multilateralen Ordnung. Die gleiche Sequenz zeigt auch das Beispiel Mexikos vor 1986, als es dem GATT beitrat.
Wer vergelten will, nur um den USA ein Stoppschild zu setzen, beteiligt sich mit an der Erosion der Handelsordnung, nicht an deren Verteidigung.
(Leicht geänderte Fassung eines Gastkommentars, der am 19. Juni 2018 unter dem Titel „Vergeltung schützt nicht vor Trump“ in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist.)
In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.