Wirtschaftspolitischer Beitrag
Nach US-Wahl: Europa steht vor schwierigen Zeiten
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Europa
Internationaler Handel
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Der künftige US-Präsident Joe Biden wird Europa kaum eine Atempause verschaffen. Die Konfliktfelder bleiben dieselben, die EU muss sich schon jetzt auf schwierige Entscheidungen vorbereiten. Die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsstaaten zu einen wird eine Herausforderung.
Dass es unter einer Biden-Regierung in Handelsfragen nicht einfacher wird, ist intuitiv erst einmal gar nicht so leicht zu verstehen, wenn man Donald Trumps Getöse um Stahl- und Autozölle noch in den Ohren hat oder die Zoll-Eskalation mit China. Noch 2019 hatte Trump Europäer und Chinesen mit Zöllen oder Zollankündigungen traktiert. So sollten Arbeitsplätze in die USA zurückkommen und die Exportdefizite Amerikas sinken. Doch bei genauem Hinsehen hat der bellende Hund Trump nicht gebissen – oder höchstens leicht zugeschnappt.
Wie nicht anders zu erwarten, blieb unterm Strich ein Trump-Effekt auf das US-Handelsbilanzdefizit aus – und damit die von ihm versprochenen vermeintlichen Gewinne für Amerika. Zwar sanken die Importe aus China in die USA, doch dafür sprangen andere ausländische Importeure ein, zum Beispiel aus Europa oder anderen Teilen Asiens. Die von Trump mit breitem Siegerlächeln verkauften Handelsabkommen mit Kanada und Mexiko oder Japan waren inhaltlich überschaubar und werden ebenfalls keinen signifikanten Einfluss auf die Handelsströme haben.
„America first“ wird bleiben
Biden erbt also das ungelöste Problem einer unausgeglichenen Handelsbilanz und wird von Anfang an unter Druck stehen, die heimische Wirtschaft tendenziell abzuschotten. „America first“ ist eine auch ihm vertraute Parole, wenn es um die Interessen der US-Wirtschaft geht. Und die Politik seiner Handelspartner liefert ihm wenig Gegenargumente: China setzt schon länger auf mehr wirtschaftliche Eigenständigkeit, in Europa wird das von Frankreich vorangetriebene Konzept der „strategischen Autonomie“ zunehmend populär. Staatliche Industriepolitik statt offener Märkte.
Im Konflikt mit China geht es zudem um weit mehr als um Handelsbilanzen; er wird noch die nächsten Dekaden prägen. Denn China wird – gemessen an der Wirtschaftsleistung – die USA überholen. Gerade beschleunigt sich dieser Prozess, weil die Corona-Krise in Amerika zu einer deutlichen Schrumpfung führt, während China wächst, wenn auch mit vermindertem Tempo. Wirtschaftliche Macht bedeutet politischen Einfluss, und auch der künftige US-Präsident Biden hat kein Interesse, diesen kampflos aufzugeben. Über eine harte Haltung gegenüber China gibt es in Washington einen politischen Konsens über beide großen Parteien hinweg.
Unterschiedliche Interessen innerhalb der EU
Was sich unter Biden ändern wird ist sicherlich der Stil, wie Handelskonflikte angegangen werden. Er dürfte sich eher an die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) halten, wobei auch er immer klar gemacht hat, dass diese dringend reformiert werden muss. Diese Reformen können künftig immerhin stärker miteinander als gegeneinander entwickelt werden. Es existiert auch eine echte Chance, den Konflikt um Ausgleichszölle für die Airbus- und Boeing-Subventionen beizulegen, wo es mittlerweile eine Pattsituation gibt. Die EU könnte ihre gerade beschlossenen Ausgleichszölle wieder zurücknehmen, sofern die USA ihrerseits die Zölle im gleichen Maß herunterfahren.
Schwierige Entscheidungen stehen in Europa unter anderem mit Blick auf China, auf die Landwirtschaft und die Internetkonzerne an. Zwar haben sich viele in Europa hinsichtlich China umorientiert und sehen dessen Dominanzstreben kritischer als früher. Dazu gehört zum Beispiel der Bundesverband der Deutschen Industrie.
Doch China einzuhegen, kann für Europa deutlich teurer werden als für die USA. Europa hat punktuell vom amerikanisch-chinesischen Handelskrieg profitiert: Wenn China kein Schweinefleisch mehr aus den USA kauft, gibt es neue Marktchancen für Züchter aus Dänemark oder Niedersachsen. Deutsche Auto- und Maschinenbauer profitieren vom Post-Corona-Aufschwung in China und kommen damit glimpflicher durch die Krise. Inwieweit ist Deutschland zum Konflikt mit China und damit zum Verzicht auf Wachstumschancen bereit? Inwieweit ist Frankreich bereit, den USA entgegen zu kommen und seine Landwirte dem Konkurrenzdruck aus Amerika auszusetzen?
Zu wieviel Wohlstandsverzicht ist Europa bereit?
Will Europa Verhandlungsmacht gegenüber den USA aufbauen, muss es die Macht der Internetkonzerne und deren Gewinnverwendung in den Blick nehmen – etwa durch eine gemeinsame Haltung zu einer Digitalsteuer. Doch die läuft den Interessen Irlands zuwider, das die Europazentralen vieler amerikanischer IT-Konzerne beherbergt.
Die USA werden auch unter Biden Handelssanktionen einsetzen, um ihren geopolitischen Interessen Nachdruck zu verleihen. Diese Sanktionen kommen die Europäer häufig teurer zu stehen als die Amerikaner selbst. Auch hier: Zu wieviel Wohlstandsverzicht ist Europa bereit, um an der Seite der USA zu stehen?
Es gibt keinen Grund für Europa, sich nach Trumps Abwahl zurückzulehnen. Im Gegenteil: Europa wird nun Farbe bekennen und dringender denn je eigene Machtoptionen aufbauen müssen, um auf Augenhöhe verhandeln zu können. Dass mit Großbritannien ein gewichtiger Spieler die EU verlässt, hilft dabei nicht. Umso wichtiger ist es, dass die EU ihren Binnenmarkt weiter stärkt, die Briten möglichst eng an sich bindet und Pläne entwickelt, wie ein Ausgleich unterschiedlicher nationaler Interessen gelingen kann. Nur einem aus sich selbst heraus starken Europa wird es gelingen, seinen Platz neben den wirtschaftlichen Großmächten USA und China zu behaupten. Künftig wird es keinen Trump mehr geben, der mit seinem obszönen Getöse die innereuropäischen Differenzen übertönte.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 13.11.2020 in der Online-Rubrik „Meinungsmacher“ des Manager Magazins.
Coverfoto: © Kleinschmidt MSC
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