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15.06.2022

News

Sommerprognose IfW Kiel: Hohe Preise und Lieferengpässe bremsen Aufschwung

Steigende Preise infolge des Ukraine-Krieges und verstärkte Lieferengpässe aufgrund neuerlicher Lockdowns in China belasten den Aufschwung der deutschen Wirtschaft, die im zweiten Quartal kaum mehr als stagnieren dürfte. In seiner jüngsten Konjunkturprognose erwartet das IfW Kiel im laufenden Jahr eine Inflationsrate von 7,4 Prozent – mehr als in der Ölkrise der 70er Jahre – und einen Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 2,1 Prozent. 2023 dürfte das BIP um 3,3 Prozent zulegen, 0,2 Prozentpunkte weniger als bislang erwartet.

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Sie blicken optimistischer auf die deutsche Wirtschaft als noch im vergangenen Winter – aus welchem Grund?

Der wesentliche Grund für die Aufwärtsrevision ist, dass sich die Weltwirtschaft deutlich kräftiger von dem Corona-Schock erholt, als wir das im Winter noch vorausgesehen hatten, und das bedeutet, dass von der Exportwirtschaft kräftige Impulse auf die deutsche Industrie ausgehen. Wir haben dort nahezu einen perfekten V-Verlauf, wenn wir uns die Warenexporte anschauen, wir sind also tief eingebrochen am Beginn der Krise, aber wir kommen sehr zügig jetzt auch aus diesem Tal wieder heraus, und das ist insgesamt der Grund für die Aufwärtskorrektur. Dass wir nicht noch stärker aufwärts revidieren liegt allerdings daran, dass wir in der Binnenkonjunktur eine W-Formation haben, also durch die zweite Welle gab es einen deutlichen Rückschlag, insbesondere beim privaten Konsum, und beides zusammengenommen ergibt dann immer noch eine Aufwärtsrevision, aber die Binnenwirtschaft hinkt deutlich hinterher.

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Welche Risiken bestehen für den konjunkturellen Ausblick?

Ganz klar ist der Pandemieverlauf weiterhin die größte Unbekannte, wenn es dort zu weiteren Verzögerungen im Pandemieverlauf kommt, das ist aber nicht der einzige Faktor. Was wir schlecht abschätzen können ist, wie viele Unternehmen jetzt aufgrund der Krise so in Bedrängnis geraten, dass sie den nächsten Aufschwung gar nicht mehr erleben und diesen dann auch nicht tragen können. Wenn wir es dort mit einer größeren Insolvenzwelle zu tun haben sollten, dann würde von dieser Seite der Aufschwung behindert. Es gibt aber auch die Chance, dass sich die Konjunktur im laufenden Jahr noch lebhafter entwickelt, als wir das derzeit vorhersehen, während der Pandemie konnten die Haushalte viele Konsumaktivitäten nicht entfalten, deshalb ist viel Einkommen liegen geblieben, wir rechnen mit 230 Milliarden Euro, die die privaten Haushalte jetzt zusätzlich auf der hohen Kante haben, und je mehr sie davon mobilisieren, für nachholende Käufe, desto kräftiger und desto schneller kann die Binnenkonjunktur zurückkommen, das ist dann aber auch mit zusätzlichen Inflationsrisiken verbunden.

02.33

Deutschlands Schulden sind durch die Corona-Krise stark gestiegen, was bedeutet das für die nächste Bundesregierung?

Mit der kräftigen Erholung in diesem Jahr entfällt dann aber für das kommende Jahr zugleich jede Grundlage für Staatsaugaben auf Pump im großen Stil. Ein abermaliges Aussetzen der Schuldenbremse ist daher ökonomisch nicht zu begründen. Das strukturelle Defizit des Staates fällt im kommenden Jahr um 40 Milliarden Euro zu hoch aus. Die nächste Bundesregierung steht damit von Beginn an unter Konsolidierungsdruck, zumal wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass jetzt ja von Jahr zu Jahr steigende Belastungen durch die demografische Alterung hinzukommen. Hierauf ist das Deutschland unzureichend vorbereitet, die Verteilungskonflikte dürften sich daher in der nächsten Legislaturperiode erheblich verschärfen.

„Die Auftriebskräfte der deutschen Wirtschaft sind zwar intakt, wirken nun aber mit deutlich verringerter Stärke“, kommentiert Stefan Kooths, Vizepräsident und Konjunkturchef des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel) die heute erschienenen Sommerprognosen für Deutschland („Erholung kommt mühsam voran“) und die Welt („Inflationsschub bremst die Expansion“). Demnach dürfte das deutsche Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal wieder sein Vorkrisenniveau erreichen und dann mit Raten um 1 Prozent wieder spürbar kräftiger zulegen als in den drei Quartalen zuvor. 

Stütze des Aufschwungs sind zum einen die privaten Haushalte, die als Folge der Pandemie noch auf sehr hohen Ersparnissen von rund 200 Mrd. Euro sitzen und diese nun verausgaben können. Zum anderen die Industrieunternehmen, die ein rekordhohes Auftragspolster aufweisen. Seit dem Beginn der Pandemie ist der Auftragsbestand um 30 Prozent gestiegen. Dies entspricht mehr als 15 Prozent der Jahresproduktion bzw. einer Wertschöpfung von rund 100 Mrd. Euro.  

Gleichzeitig sind beide Bereiche durch die neuerlichen ökonomischen Verwerfungen betroffen. Aufgrund von Lieferengpässen war die Industrieproduktion zuletzt 10 Prozent niedriger, als es angesichts der Auftragseingänge möglich gewesen wäre. Die Engpässe dürften noch bis weit ins Jahr 2023 andauern.  

Gefahr steigt, dass sich Inflation verfestigt 

Die privaten Haushalte leiden unter dem starken Verbraucherpreisanstieg, der nochmals kräftiger ausfällt als bislang erwartet. Im Jahr 2022 dürfte die Inflationsrate mit 7,4 Prozent nahezu einen Rekord erreichen und deutlich über den Preissteigerungen während der Ölkrise der 70er Jahre liegen. 2023, wenn die Lieferengpässe nachlassen und von den Rohölpreisen keine weiteren Impulse auf die Inflationsrate mehr ausgehen, wird die Rate wohl auf 4,2 Prozent sinken. 

„Der gegenwärtige Teuerungsdruck ist vor allem auch eine Folge der weltweit massiven Fiskalprogramme während der Pandemiephase, die wiederum größtenteils durch die Notenbanken finanziert wurden, auch durch die Europäische Zentralbank (EZB). Ihre ersten Signale zur Normalisierung der Geldpolitik erfolgten viel zu spät und fallen bislang angesichts der erheblichen Zielverfehlung zu zaghaft aus“, so Kooths.  

„Damit steigt die Gefahr, dass sich über höhere Inflationserwartungen die Geldentwertung verfestigt. Was dann aussieht wie eine Lohn-Preis-Spirale, ist in Wirklichkeit das Ergebnis verlorenen Vertrauens in die Preisstabilität. Deutschland geht ohnehin wachstumsschwachen Jahren entgegen – ob daraus eine Stagflation wird, hat die Geldpolitik in der Hand.“ 

Die Erholung der Erwerbstätigkeit von der Corona-Krise setzt sich ungeachtet des Krieges in der Ukraine fort. Die Arbeitslosenquote dürfte nach 5,7 Prozent im vergangenen Jahr in beiden Prognosejahren auf 5,1 Prozent sinken. 

Leistungsbilanzüberschuss sinkt deutlich 

Die öffentlichen Haushalte profitieren von kräftig steigenden Steuereinnahmen im Bereich der Umsatz- und Gewinnsteuern und von einem Ende der Corona-Hilfspakete. Die Finanzlage präsentiert sich daher deutlich besser, als noch 2021 erwartet. Das Budgetdefizit sinkt 2022 auf 54 Mrd. Euro (1,4 Prozent des BIP) und 2023 auf 37 Mrd. Euro (0,9 Prozent). Der Bruttoschuldenstand dürfte sich dann wieder in der Nähe der 60-Prozent-Marke bewegen. 

Auch die deutschen Exporteure sitzen auf einem hohen Auftragsbestand, den sie abarbeiten können, sobald die Lieferengpässe nachlassen. Die Ausfuhren dürften 2022 um 3,4 Prozent zulegen, 2023 dann um 6,5 Prozent. Durch die hohe Nachfrage nach Investitionsgütern und Auslandsreisen dürften die Importe um 6,6 Prozent (2022) und 5,6 Prozent (2023) steigen. Insbesondere aufgrund der hohen Preise für Importgüter – vor allem aufgrund gestiegener Rohstoffkosten und des schwachen Euro – sinkt Deutschlands viel kritisierter Leistungsbilanzüberschuss deutlich von über 7 Prozent auf 4,2 Prozent (2022) und 4,8 Prozent (2023). 

Weltwirtschaft: Aussichten spürbar eingetrübt 

Auch die globale Produktion wird durch die kräftige Inflation und die Lieferengpässe belastet. Außerdem kostet Chinas strikte No-Covid-Politik circa 0,2 Prozent Zuwachs. Die Weltwirtschaft dürfte in diesem Jahr daher nur um 3,0 Prozent zulegen, im nächsten Jahr um 3,2 Prozent. Bislang lagen die Erwartungen des IfW Kiel um 0,5 bzw. 0,4 Prozent höher.   

“Problematisch wäre es, wenn sich die Inflation als hartnäckiger erweisen würde, als von den Notenbanken erwartet”, so Kooths. “Dann müsste die Geldpolitik stärker bremsen als unterstellt, mit der Gefahr einer Rezession in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften und einer ausgeprägten Verschlechterung der finanziellen Rahmenbedingungen in den Schwellenländern.” 

Audio

Fragen an Konjunkturchef Stefan Kooths:
1. Was erwartet die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr?
2. Warum steigen die Preise nun noch stärker als bislang erwartet?
3. Wie kann die Politik auf die extreme Teuerung reagieren?
Audio-Transkription herunterladen (pdf)

Die Audiodatei (mp3) können Sie hier anhören und herunterladen. (rechte Maustaste - Audio speichern)

 

 

Fachlicher Kontakt

  • Prof. Dr. Stefan Kooths
    Forschungsdirektor

Medienkontakt

  • Mathias Rauck
    Leiter Kommunikation

Experten

  • Prof. Dr. Stefan Kooths
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