Deutsche Wirtschaft schrumpft 2023 um 0,5 Prozent
Die Aussichten für die deutsche Wirtschaft haben sich laut jüngster Herbstprognose des IfW Kiel eingetrübt. Im Vergleich zum Vorjahr dürfte das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 0,5 Prozent schrumpfen, damit revidiert das IfW Kiel seine Sommerprognose (-0,3 Prozent) leicht nach unten. Gründe sind vor allem eine schwache Industriekonjunktur, die Krise in der Bauwirtschaft sowie sinkende Konsumausgaben. Für 2024 rechnet das IfW Kiel nun mit einem Plus von 1,3 Prozent (bislang +1,8 Prozent), für 2025 mit einem Plus von 1,5 Prozent. Die Inflation dürfte sich deutlich verringern und 2024 und 2025 2,1 Prozent betragen. Der Arbeitsmarkt zeigt sich trotz Abschwung robust, der öffentliche Schuldenstand bleibt etwa konstant.
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Sie blicken optimistischer auf die deutsche Wirtschaft als noch im vergangenen Winter – aus welchem Grund?
Der wesentliche Grund für die Aufwärtsrevision ist, dass sich die Weltwirtschaft deutlich kräftiger von dem Corona-Schock erholt, als wir das im Winter noch vorausgesehen hatten, und das bedeutet, dass von der Exportwirtschaft kräftige Impulse auf die deutsche Industrie ausgehen. Wir haben dort nahezu einen perfekten V-Verlauf, wenn wir uns die Warenexporte anschauen, wir sind also tief eingebrochen am Beginn der Krise, aber wir kommen sehr zügig jetzt auch aus diesem Tal wieder heraus, und das ist insgesamt der Grund für die Aufwärtskorrektur. Dass wir nicht noch stärker aufwärts revidieren liegt allerdings daran, dass wir in der Binnenkonjunktur eine W-Formation haben, also durch die zweite Welle gab es einen deutlichen Rückschlag, insbesondere beim privaten Konsum, und beides zusammengenommen ergibt dann immer noch eine Aufwärtsrevision, aber die Binnenwirtschaft hinkt deutlich hinterher.
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Welche Risiken bestehen für den konjunkturellen Ausblick?
Ganz klar ist der Pandemieverlauf weiterhin die größte Unbekannte, wenn es dort zu weiteren Verzögerungen im Pandemieverlauf kommt, das ist aber nicht der einzige Faktor. Was wir schlecht abschätzen können ist, wie viele Unternehmen jetzt aufgrund der Krise so in Bedrängnis geraten, dass sie den nächsten Aufschwung gar nicht mehr erleben und diesen dann auch nicht tragen können. Wenn wir es dort mit einer größeren Insolvenzwelle zu tun haben sollten, dann würde von dieser Seite der Aufschwung behindert. Es gibt aber auch die Chance, dass sich die Konjunktur im laufenden Jahr noch lebhafter entwickelt, als wir das derzeit vorhersehen, während der Pandemie konnten die Haushalte viele Konsumaktivitäten nicht entfalten, deshalb ist viel Einkommen liegen geblieben, wir rechnen mit 230 Milliarden Euro, die die privaten Haushalte jetzt zusätzlich auf der hohen Kante haben, und je mehr sie davon mobilisieren, für nachholende Käufe, desto kräftiger und desto schneller kann die Binnenkonjunktur zurückkommen, das ist dann aber auch mit zusätzlichen Inflationsrisiken verbunden.
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Deutschlands Schulden sind durch die Corona-Krise stark gestiegen, was bedeutet das für die nächste Bundesregierung?
Mit der kräftigen Erholung in diesem Jahr entfällt dann aber für das kommende Jahr zugleich jede Grundlage für Staatsaugaben auf Pump im großen Stil. Ein abermaliges Aussetzen der Schuldenbremse ist daher ökonomisch nicht zu begründen. Das strukturelle Defizit des Staates fällt im kommenden Jahr um 40 Milliarden Euro zu hoch aus. Die nächste Bundesregierung steht damit von Beginn an unter Konsolidierungsdruck, zumal wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass jetzt ja von Jahr zu Jahr steigende Belastungen durch die demografische Alterung hinzukommen. Hierauf ist das Deutschland unzureichend vorbereitet, die Verteilungskonflikte dürften sich daher in der nächsten Legislaturperiode erheblich verschärfen.

Obwohl Belastungsfaktoren wie der hohe Krankenstand und die Lieferengpässe nachgelassen haben, ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) noch nicht wieder auf einen Expansionskurs eingeschwenkt. Erst zum Jahreswechsel dürfte die Wirtschaft erneut Fahrt aufnehmen.
„Deutschland bekommt jetzt auch zu spüren, dass sein altes industrielles Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Dazu belastet die Zinswende die Wirtschaft im Inland und über die Exportmärkte. Die Notenbanken haben erfolgreich Zähne im Kampf gegen die Inflation gezeigt, und in diesem neuen Umfeld muss sich die deutsche Wirtschaft nun behaupten“, sagt Moritz Schularick, Präsident des IfW Kiel.
„Die Gesamtwirtschaft bleibt derzeit unter ihren Möglichkeiten, die Kapazitätsauslastung dürfte sich im Verlauf des Projektionszeitraums aber wieder erholen. Allerdings liegt die Wirtschaftsleistung dann rund 3 Prozent unter dem Niveau, das vor dem Ausbruch der Pandemie für die Jahre 2024 und 2025 möglich erschien. Die deutsche Wirtschaft stößt zukünftig schneller an die Produktionsgrenzen, daher sollten potenzialstärkende Maßnahmen stärker in den Blick genommen werden“, so Stefan Kooths, Konjunkturchef des IfW Kiel, anlässlich der heute erschienenen Konjunkturprognosen für Deutschland, den Euroraum und die Welt. Alle drei Berichte sind im Themendossier Konjunktur zu finden.
Vor allem eine schwache Industrie und Bauwirtschaft belasten die deutsche Konjunktur. Teile der energieintensiven Produktion sind nicht mehr rentabel und werden es voraussichtlich auch nicht wieder werden. Das industrielle Exportgeschäft leidet unter der globalen Investitionsschwäche in Folge massiv gestiegener Zinsen.
Neben China – wo die wirtschaftliche Dynamik zuletzt hinter den Erwartungen zurückblieb und aufgrund struktureller Probleme auch weiterhin verhalten bleiben dürfte – schwächeln auch andere wichtige Industrieländer wie Südkorea. Der noch hohe Auftragsbestand wirkt aber stützend für die deutsche Produktion.
Im Baubereich schicken die erheblich verteuerten Finanzierungskonditionen insbesondere den Wohnungsbau weiter auf Talfahrt, der im laufenden Jahr um fast 3 Prozent, im kommenden um fast 4 Prozent schrumpfen dürfte. Erst 2025 wird es nach dann vier Minusjahren in Folge voraussichtlich wieder aufwärts gehen – dann aber ausgehend von einem so niedrigen Niveau wie seit acht Jahren nicht mehr.
„Die aktuellen Bau- und Bestandspreise passen nach der Zinswende nicht länger zu den Finanzierungskosten. Ohne deutliche Preiskorrekturen wird die Baukonjunktur kaum wieder in Gang kommen, Spielräume dafür sind da“, so Kooths.
Die privaten Konsumausgaben dürften 2023 leicht um 0,6 Prozent sinken, im nächsten Jahr aber infolge höherer Löhne und ausgeweiteter staatlicher Transfers kräftig um 2 Prozent zulegen und damit die Konjunktur bzw. die konsumnahen Branchen beleben. Die Massenkaufkraft steigt dann um 3,3 Prozent (2024) und 2 Prozent (2025).
Inflationsrate sinkt auf 2 Prozent, Kernrate bleibt deutlich höher
Die Inflation in Deutschland wird laut Prognose deutlich zurückgehen, weil sich der allgemeine Preisauftrieb abschwächt und die Energiepreise zumindest wieder etwas sinken werden. Nach 6 Prozent in diesem Jahr, wird sie in den kommenden beiden Jahren bei etwa 2 Prozent liegen.
Die um Energiepreise bereinigte Kernrate dürfte in den Jahren 2024 und 2025 aber noch deutlich über 2 Prozent liegen, da insbesondere die Dienstleistungen den allgemeinen Teuerungsschub nur verzögert nachvollziehen.
Die derzeitige wirtschaftliche Schwächephase wird am Arbeitsmarkt nur wenig Spuren hinterlassen, da der Fachkräftemangel weiterhin groß ist. Die Arbeitslosenquote sinkt in der Folge nach 5,6 Prozent in diesem und im nächsten Jahr auf 5,3 Prozent (2025).
Im Zuge des demografischen Wandels überschreitet die Zahl der Erwerbstätigen im kommenden Jahr ihren Zenit und dürfte Ende 2025 bei rund 45,8 Millionen liegen.
Das Budgetdefizit des Staates geht trotz der wirtschaftlichen Belebung nur wenig zurück – von 2,6 Prozent in Relation zum BIP im laufenden Jahr auf 1,9 Prozent im Jahr 2025. Der Schuldenstand verharrt im gesamten Zeitraum bei rund 64 Prozent in Relation zum BIP.
Im Zuge des sich allmählich aufhellenden internationalen Umfelds dürfte das Auslandsgeschäft nach und nach wieder Tritt fassen. Nach einem Minus von 1,3 Prozent (2023) bewegen sich die Exporte mit plus 0,5 Prozent (2024) zunächst seitwärts. Im Jahr 2025 avancieren sie mit plus 3,6 Prozent in einem insgesamt kräftigeren weltwirtschaftlichen Umfeld wieder zum Expansionsmotor.
Weltwirtschaft und Euroraum: US-Konjunktur überraschend robust
Insbesondere in den Vereinigten Staaten zeigt sich die Konjunktur angesichts massiv gestiegener Zinsen überraschend robust. Insgesamt wird die Weltwirtschaft im Prognosezeitraum in moderatem Tempo expandieren. Sie dürfte in diesem Jahr um 3,0 Prozent zulegen und in den kommenden beiden Jahren um 2,8 bzw. 3,2 Prozent.
Im Euroraum bleibt die wirtschaftliche Dynamik verhalten, das BIP dürfte im laufenden Jahr um 0,6 Prozent steigen, gefolgt von einem Zuwachs um 1,4 Prozent (2024) und 1,7 Prozent (2025).
Audio: Fragen und Antworten von Stefan Kooths
Fragen an Konjunkturchef Stefan Kooths:
- Wie wird sich sich die deutsche Konjunktur laut jüngster Prognose entwickeln?
- Warum haben sich die Aussichten im Vergleich zur Sommerprognose nochmals eingetrübt?
- Ab nächstem Jahr soll es wieder positive Konjunkturzahlen geben. Was sind die Treiber dafür?