Deutsche Konjunktur stabilisiert sich
Die Aussichten für die deutsche Konjunktur haben sich leicht aufgehellt. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte laut Frühjahrsprognose des IfW Kiel in diesem Jahr um 0,5 Prozent und im nächsten Jahr um 1,4 Prozent zulegen. Die Raten liegen um 0,2 (2023) bzw. 0,1 Prozent (2024) höher als noch in der Winterprognose erwartet. Der Preisanstieg hält sich hartnäckig und betrifft die gesamte Breite des Warenspektrums. Durch die hohen Preise sind die realen Lohnkosten so niedrig wie lange nicht mehr, und die Einnahmen der öffentlichen Haushalte sprudeln. Erst 2024 dürfte die Inflation wieder bei rund 2 Prozent liegen.
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Sie blicken optimistischer auf die deutsche Wirtschaft als noch im vergangenen Winter – aus welchem Grund?
Der wesentliche Grund für die Aufwärtsrevision ist, dass sich die Weltwirtschaft deutlich kräftiger von dem Corona-Schock erholt, als wir das im Winter noch vorausgesehen hatten, und das bedeutet, dass von der Exportwirtschaft kräftige Impulse auf die deutsche Industrie ausgehen. Wir haben dort nahezu einen perfekten V-Verlauf, wenn wir uns die Warenexporte anschauen, wir sind also tief eingebrochen am Beginn der Krise, aber wir kommen sehr zügig jetzt auch aus diesem Tal wieder heraus, und das ist insgesamt der Grund für die Aufwärtskorrektur. Dass wir nicht noch stärker aufwärts revidieren liegt allerdings daran, dass wir in der Binnenkonjunktur eine W-Formation haben, also durch die zweite Welle gab es einen deutlichen Rückschlag, insbesondere beim privaten Konsum, und beides zusammengenommen ergibt dann immer noch eine Aufwärtsrevision, aber die Binnenwirtschaft hinkt deutlich hinterher.
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Welche Risiken bestehen für den konjunkturellen Ausblick?
Ganz klar ist der Pandemieverlauf weiterhin die größte Unbekannte, wenn es dort zu weiteren Verzögerungen im Pandemieverlauf kommt, das ist aber nicht der einzige Faktor. Was wir schlecht abschätzen können ist, wie viele Unternehmen jetzt aufgrund der Krise so in Bedrängnis geraten, dass sie den nächsten Aufschwung gar nicht mehr erleben und diesen dann auch nicht tragen können. Wenn wir es dort mit einer größeren Insolvenzwelle zu tun haben sollten, dann würde von dieser Seite der Aufschwung behindert. Es gibt aber auch die Chance, dass sich die Konjunktur im laufenden Jahr noch lebhafter entwickelt, als wir das derzeit vorhersehen, während der Pandemie konnten die Haushalte viele Konsumaktivitäten nicht entfalten, deshalb ist viel Einkommen liegen geblieben, wir rechnen mit 230 Milliarden Euro, die die privaten Haushalte jetzt zusätzlich auf der hohen Kante haben, und je mehr sie davon mobilisieren, für nachholende Käufe, desto kräftiger und desto schneller kann die Binnenkonjunktur zurückkommen, das ist dann aber auch mit zusätzlichen Inflationsrisiken verbunden.
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Deutschlands Schulden sind durch die Corona-Krise stark gestiegen, was bedeutet das für die nächste Bundesregierung?
Mit der kräftigen Erholung in diesem Jahr entfällt dann aber für das kommende Jahr zugleich jede Grundlage für Staatsaugaben auf Pump im großen Stil. Ein abermaliges Aussetzen der Schuldenbremse ist daher ökonomisch nicht zu begründen. Das strukturelle Defizit des Staates fällt im kommenden Jahr um 40 Milliarden Euro zu hoch aus. Die nächste Bundesregierung steht damit von Beginn an unter Konsolidierungsdruck, zumal wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass jetzt ja von Jahr zu Jahr steigende Belastungen durch die demografische Alterung hinzukommen. Hierauf ist das Deutschland unzureichend vorbereitet, die Verteilungskonflikte dürften sich daher in der nächsten Legislaturperiode erheblich verschärfen.

„Der Konjunkturkompass zeigt wieder nach oben, allerdings bleibt die Aufwärtsdynamik verhalten. Die zuletzt deutlich rückläufigen Gaspreise stimulieren die Konjunktur hierzulande zunächst nur wenig, sie entlasten vor allem den Staatshaushalt, der nun mit weniger Subventionen im Rahmen der sogenannten Energiepreisbremsen einspringen muss. Im Ergebnis ersetzen nun niedrigere Importpreise den Impuls staatlicher Energiesubventionen, was konjunkturell ähnlich wirkt“, kommentiert Stefan Kooths, Vizepräsident und Konjunkturchef des IfW Kiel, die aktuelle Frühjahrsprognose für Deutschland, den Euroraum und die Weltwirtschaft.
Nach einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im 4. Quartal 2022 zeichnet sich für den Jahresauftakt 2023 ein moderater Anstieg um gut 0,2 Prozent ab. Eine technische Rezession – also ein Rückgang der Wirtschaftsleistung für zwei oder mehr Quartale in Folge – wäre damit abgewendet.


Der Preisauftrieb bleibt zunächst hartnäckig, aber die Triebkräfte wechseln. Während sich die Energiepreisdynamik auf der Verbraucherstufe abschwächt, beschleunigt sich die Teuerung bei übrigen Gütern und betrug zuletzt über 7 Prozent. Insgesamt wird die Inflation im Jahr 2023 laut Schätzung 5,4 Prozent und im Jahr 2024 rund 2 Prozent betragen.
„Wichtig ist nun ein entschlossenes Gegensteuern der Geldpolitik“, so Kooths. „Nachlassende Lieferengpässe und weniger krankheitsbedingte Fehltage können etwas Druck aus dem Kessel nehmen, mehr aber auch nicht. Auch der Staat muss seine Ansprüche den gesamtwirtschaftlichen Möglichkeiten anpassen. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hat durch die Krisen gelitten, dementsprechend schneller fachen defizitfinanzierte Mehrausgaben die Inflation an.“
Erwartete Lohnerhöhungen stabilitätsgerecht
Die realen Lohnstückkosten sanken in den vergangenen beiden Jahren ungewöhnlich stark, weil die Löhne den heimischen Preisen deutlich hinterherhinken. „Das Verhältnis zwischen dem, was Arbeitskräfte kosten, und dem, was sie erwirtschaften, ist im langjährigen Vergleich außergewöhnlich günstig. Dies ist beschäftigungsfreundlich und wirkt den dämpfenden Effekten der Energiekrise entgegen. Die sich abzeichnenden Lohnerhöhungen von gut 5 Prozent in diesem und knapp 6 Prozent im kommenden Jahr dürften von der Kostenseite keine Zweitrundeneffekte auf die Inflation haben und sind daher stabilitätsgerecht“, so Kooths.
Auch aus diesem Grund bleibt der Arbeitsmarkt trotz der wirtschaftlichen Schwächephase robust. Die Beschäftigung war bis zuletzt aufwärtsgerichtet. Die Zahl der Erwerbstätigen steigt seit Sommer ohne große Tempoveränderung und betrug zuletzt knapp 46 Mio. Personen. Damit dürfte sie ihren Zenit erreicht haben und ab nächstem Jahr aufgrund der demografischen Entwicklung rückläufig sein. Die Arbeitslosenquote sinkt von zuletzt 5,5 Prozent auf durchschnittlich 5,4 Prozent in diesem und 5,2 Prozent im nächsten Jahr.
Strukturell höhere Energiepreise belasten den Wirtschaftsstandort
Sprudelnde Einnahmen und weniger Ausgaben für Energiesubventionen nehmen Druck von den öffentlichen Haushalten. Deren Defizit in Relation zum nominalen BIP dürfte von 2,6 Prozent im Jahr 2022 auf 1,4 Prozent im Jahr 2024 abschmelzen. Der Schuldenstand wird in diesem Zeitraum dann wohl von 66,4 Prozent auf 63,5 Prozent zurückgehen.
Hohe Energiepreise und eine verhaltene Weltkonjunktur lasten auf den deutschen Exporten. Insbesondere die Erholung des Euroraums sowie der Schwellenländer wirken ab der Jahresmitte aber belebend. Zudem profitieren Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe von ihren hohen Auftragsbeständen, die sie nun angesichts nachlassender Lieferengpässe abarbeiten können. Insgesamt rechnet das IfW Kiel mit einem Zuwachs der Exporte von 0,5 Prozent in diesem und 3,5 Prozent im kommenden Jahr.
„Die insgesamt schwache wirtschaftliche Dynamik ist auch als ein deutlicher Verlust an dauerhafter Wirtschaftskraft zu lesen“, so Kooths. „Strukturell höhere Energiepreise machen energieintensive Produktion hierzulande zunehmend unrentabel und belasten den Standort auch insgesamt. Darüber hinaus steht es mit wichtigen anderen Standortfaktoren wie Fachkräftepotenzial, Infrastruktur, Abgabenlast und Regulierung nicht zum Besten. Das kostet nicht nur Wohlstand, sondern verschärft auch Verteilungskonflikte.“
Mehr Informationen zur Entwicklung des deutschen Produktionspotenzials nach der Energiekrise finden Sie in unserer Mittelfristprojektion, die am Freitag veröffentlicht wird.
Euroraum und Weltwirtschaft: Aussichten hellen sich auf
Im Euroraum dürfte die Konjunktur von einem stärkeren privaten Konsum gekennzeichnet sein, die gesamtwirtschaftliche Dynamik bleibt aufgrund der deutlichen Straffung der Geldpolitik aber verhalten.
Insgesamt wird das BIP im laufenden Jahr laut Prognose um 1,1 Prozent zulegen, gefolgt von einem Zuwachs um 1,6 Prozent im kommenden Jahr. Die Teuerungsrate dürfte nach 5,5 Prozent in diesem Jahr mit 2,6 Prozent im nächsten Jahr wieder vergleichsweise moderat ausfallen.
Aus globaler Sicht entspannt sich die Lage an den Energiemärkten. Allerdings bremst die Geldpolitik zunehmend, und stützende Fiskalprogramme laufen aus. In China wird sich die Konjunktur nach dem Ende der Corona-Politik wieder spürbar beleben. Insgesamt wird die Weltproduktion 2023 mit 2,5 Prozent nur schwach zunehmen und 2024 mit dann 3,2 Prozent wieder etwas stärker expandieren.
Audio: Fragen und Antworten von Stefan Kooths
Fragen an Konjunkturchef Stefan Kooths:
1. Wie sieht die Konjunkturprognose für Deutschland für 2023 und 2024 aus?
2. Die Energiepreise sind deutlich gesunken. Warum stellt sich das Konjunkturbild nicht noch deutlich besser dar?
3. Wer profitiert von den geringer als erwarteten Energiepreisen?
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